Chronik der Brunnengarde

 

Ein Jahr nach Gründung der Florengäßner Brunnenzeche im Jahr 1934, entschlossen sich die Mitglieder dem Brunnenpaar, das nun im karnevalistischen Sinne das Herrscherpaar des Vereines war, eine Garde zum persönlichen Schutz zur Seite zu stellen. Die Garde hatte ferner seit dem zur Foaset auch den Brunnen zu bewachen, der, wenn auch nur als Attrappe, vor der Gaststätte "Eintracht" aufgebaut wurde.

Der erste Kommandant der vier oder fünf Mann starken Garde war ein Florengäßner Original, der  "Arnold's Wilhelm".

Die "Bewaffnung" der Garde bestand aus einer Kanone (ein Ofenrohr auf einer Lafette mit zwei Rädern), die vom Zentgraf's  Ferdinand zusammengebaut wurde. Ferner verfügte man über Holzgewehre der Marke Eigenbau. Eine echte "Attollerie", wie der stolze Kommandant in seinem Fuldaer Dialekt die Garde auch nannte.

Die Uniformen waren alte Artillerie-Uniformen aus dem ersten Weltkrieg und bestanden aus weißen Hosen, Blauen Jacken sowie schwarzen Schaftstiefeln, die über die Hosen gezogen wurden. Auf den Köpfen die alte Pickelhauben aus Leder. Ein langer Schleppsäbel, der nur vom Kommandanten getragen wurde, war das besondere Zeichen seiner Macht über die Gardisten.

Am Rosenmontagszug, der 1935 das erste mal Mal auch durch die Florengasse zog, war die Garde das erste Mal dabei. Alle zwei Stunden wurde an den drei Fastnachtstagen mit drei Böllerschüssen aus der Kanone die Wache mit einem Zeremoniell vor der Eintracht und dem Brunnen abgelöst. Auch im darauf folgenden Jahr war diese Truppe unter dem Kommandanten Wilhelm Arnold voll im Einsatz. Nachdem nun die Florengäßner Brunnenzeche mehr und mehr an Ansehen in den karnevalistischen Kreisen gewann, wurde unter dem neuen Kommandanten Karl Quinckler und dessen Sohn Hermann als sein Adjutant, eine vollständige neue Truppe gebildet. Zehn bis zwölf tapfere Gardisten in neuen Uniformen, welche eigens beim Kostümverleih Jansen in Frankfurt am Main für die drei tollen Tage geliehen wurden. Eine neue Kanone, die in der Firma Weisensee gebaut wurde, waren nun der Stolz der Florengäßner. Als die Kanone in der Fa. Weisensee gebaut wurde wurden auch die ersten Schießversuche im Hofe der Fabrik unternommen. Die Kanone hatte einen Verschluss und einen Abzugshahn wie bei einer echten Kanone und  gezündet wurde über einem Lederriemen. Die Platzpatronen wurden bei der Fa. Höfling am Peterstor eigens dafür gefüllt. Johannes Vogel sen., als Artillerist des ersten Weltkrieges warnte schon vor der Inbetriebnahme vor der gewaltigen Kraft, die in so einer Platzpatrone steckte. Zum Test musste ein Arbeiter einen Besen vor die Mündung des Kanonenrohres halten und siehe da, nach Zündung der ersten Patrone wurde der Besen aus der Hand des Arbeiters ca. 20 Meter weit geschleudert. Fazit war, die Patronen wurden nur zu einem Viertel mit Pulver gefüllt und somit bestand keine Gefahr mehr, die Kanone ihrer Bestimmung zu übergeben. Ein Pferd zog die Protze (ein zweirädriger Wagen auf dem ein Kanonier saß und das Pferd zügelte) an die die Kanone angehängt wurde. Auf dieser Kanone saßen neben dem Kanonenrohr zur rechten wie zur linken Seite je ein Kanonier. Die Garde war durch ihre neue Kanone und dem strengen preußischen Drill des Kommandanten Karl Quinkler zu einer stattlichen Truppe geworden, die, was das die Disziplin angeht, der damaligen Reichswehr Konkurenz hätte machen können.

Am Fastnachtsonntag 1938 fand nachmittags gegen 14.00 Uhr die große Schlacht am Domplatz unter Beteiligung aller närrischen Garden gegen die Miesmacher und Meckerer statt. Ein ganzes Dorf von vier bis fünf Häusern wurde aus Pappe aufgebaut und von den Garden erstürmt. Von der Hinterburg her griffen die Janitscharen der Türkei, von der Wilhelmstraße die Südender in ihren Tropenuniformen und die Brunnengarde mit der neuen Kanone an. Von der Hauptwache stürmte die Bürgergarde vereint mit dem närrischen Gefolge des Ostendes und vom Paulustor die Garde des hohen Nordens auf den Domplatz. Unter den Donnerschlägen der Kanone und dem Geknatter der Holzgewehre sowie dem närrischen Kriegsgeschrei aller Schlachtrufen der Randstaaten war das Meckerer Dörfchen bald eingenommen und in Brand gesteckt. Alle Miesmacher und Meckerer kamen in Gefangenschaft und wurden Aschermittwoch wieder freigelassen, so sagte man damals. Tausende von Zuschauern säumten den Domplatz, um sich dieses Spektakel anzusehen.

 

Im Jahre 1939 bekam die Truppe neue Uniformen, welche diesmal aus dem Kostümverleih Danner aus Mühlhausen in Thüringen geliehen wurden. In rot-weißen Uniformen der langen Kerls aus der Zeit des großen Königs präsentierten sich nun die Gardisten unter dem neuen Kommandanten Paul Neuland und seinem Adjutanten Franz Ebert. Nicht mehr ganz so streng preußig ging es in diesem Jahr zu, jedoch war die Garde zu einem Aushängeschild der Florengäßner Brunnenzeche geworden. Wie gewohnt wurden alle zwei Stunden von morgens 10.00 Uhr bis abends 22.00 Uhr die Wache vor der Eintracht bzw. dem Brunnen mit einem großen Zeremoniell abgelöst.  Am Fastnachtsamstag gegen 14.00 Uhr war nach der Wachablösung große Löhnung, welche vom Vizebürgermeister Kollmann durchgeführt wurde. Jeder Gardist bekam seinen Wehrsold (man spricht von einem Tagessatz von 2,50 RM). Im Gemeindebackhaus (Bäckerei Vogel) wurde die Garde am Fastnachtsamstag mit Sauerbraten und Klößen verpflegt, während sie sich Sonntag und Montag von ihren gesammelten Waren selbst versorgten. Nachdem es am traditionellen Brunnenball Fastnachtsamstag im Kolpinghaus sicher sehr spät geworden sein muss, ist es auch verständlich, dass sich der neue Kommandant Paul Neuland und sein Adjutant am Sonntag verschlafen hatten und nicht pünktlich zur Wachablösung um 10.00 Uhr in der Florengasse erschienen. Spontan beschlossen nun die Gardisten, ihre Vorgesetzten mit der Kanone zu wecken. Die Haustüre des Adjutanten Franz Ebert in der Florengasse stand offen, man schob die Kanone in den Flur und unter der ersten Salve flog die Hintertür zum Garten aus den Angeln, die Scheiben aus dem Rahmen und der Adjutant wahrscheinlich aus dem Bett. Unter der Führung des Adjutanten zog jetzt die gesamte Garde mit Kanone zum Gemüsemarkt, vor das Haus in dem der Kommandant wohnte, um ihn zu wecken. Die Kanone wurde vor der Haustüre in Stellung gebracht, diesmal nicht in den Eingang, um nicht nochmals Schaden anzurichten, wie in der Florengasse im Hause des Adjutanten. Auf Kommando " Feuer frei " flog mit donnerndem Getöse auch diese Haustüre aus den Angeln. Man hatte nicht damit gerechnet, dass der Luftdruck auch drei Meter vor der Tür noch so stark ist. Es war ja Fastnacht, der Schaden wurde behoben, die Garde hatte ihren Kommandanten aus den Federn geholt und alle konnten pünktlich und vollzählig am Mittag zur großen Schlacht am Domplatz antreten.

Bei Schlacht galt es dieses Mal die Marsbewohner, welche mit einer riesengroßen roten Rakete gelandet waren, unschädlich zu machen und bis über Aschermittwoch aus dem närrischen Treiben in Fulda fernzuhalten. Wieder leisteten sich alle Garden große Heldentaten, besonders unsere Garde mit der Kanone trug zum entscheidenden Sieg bei. Mit den wehenden Fahnen der einzelnen Randstaaten, angeführt durch den Spielmannszug der Türkei, zogen die siegreichen Garden in ihre Quartiere. Viele tausend Menschen sahen rund um den Domplatz diesem karnevalistischem Spiel zu und niemand ahnte damals, dass es das letzte Mal sein sollte, dass Fulda so ein Schauspiel erlebt.

   
 

Am Rosenmontag beteiligte sich die Brunnengarde noch einmal angeführt von ihrem Kommandanten Paul Neuland hoch zu Ross mit Kanone und der ganzen närrischen Brunnenzeche in ihren Biedermeierkostümen, ohne zu ahnen, dass dies der letzte Rosenmontagszug für lange Jahre sein sollte, denn im gleichen Jahr brach der zweite Weltkrieg aus und die meisten unserer Gardisten kehrten aus diesem unheilvollen Krieg nicht mehr in die Heimat zurück.

Nach dem unheilvollen Weltkrieg hatte die Florengäßner Brunnenzeche im Jahre 1947 ihre Vereinsarbeit wieder aufgenommen, Bürgermeister und Brunnenpaare wurden neu gewählt, an den Rosenmontagen fanden wieder die Umzüge statt und das karnevalistische Treiben auf den Straßen der Stadt war fasst so, wie in den Jahren vor dem Krieg, nur die Brunnenzeche hatte ihre beliebte Garde noch nicht wieder auf die Beine stellen können. In der Generalversammlung des Jahres 1953 stellte Hans Eberhard Becker den Antrag wieder eine Brunnengarde ins Leben zu rufen. Nach einer heftigen Debatte, welche sich hauptsächlich um die Finanzierung drehte, wurde doch der Beschluss gefasst, eine neue Brunnengarde erstehen zu lassen. Hans Eberhard Becker wurde beauftragt sich damit auseinander zu setzen und dem Vorstand Vorschläge für Uniformen und die Finanzierung der künftigen Garde zu machen. Nach einigen Wochen hatte man sich geeinigt die Uniformen, nicht wie in den Jahren vor dem Weltkrieg in Kostümverleihen auszuleihen, sondern eigene Uniformen nach Muster der Dinkelsbühler Kinderzeche anzuschaffen. Die Finanzierung wurde durch großzügige Spenden von vielen Vereinsmitgliedern sichergestellt. Die Arbeit von vielen Monaten hatte sich für Hans Eberhard Becker gelohnt. Am Tage als er die Insignien des Brunnenpaares durch die Hände seiner Vorgänger im Amte entgegen nahm, konnte er die neue Brunnengarde in ihren neuen Uniformen in weiß und roten Farben und mit Pelz besetzten Dreispitzen dem damaligen Bürgermeister Johannes Vogel übergeben.

Die Fahne der Brunnengarde, eines der wenigen Utensilien die den Krieg unversehrt überstanden hatte, überreichte er dem alten und neuen Kommandanten Paul Neuland. Die Kanone der alten Garde hatte den Krieg nicht überstanden, aber fleißige Hände schufen eine neue schöne bunte Kanone, die heute noch ihren Dienst versieht. Zwanzig Gardisten nebst dem Kommandanten und der Marketenderin eine stolze Truppe, welche alle Zeit die Florengasse in der Karnevalszeit vertreten und verteidigen wird, ist wieder entstanden.

In den folgenden Jahren gab es gute aber auch schlechte Jahre, so wie im Jahre 1954 als die Garde kurz vor ihrer Auflösung stand, da man einen anderen Kommandanten haben wollte. Leider ist es nicht gelungen die Zeit von 1954 - 1956 zu recherchieren. Die nächsten Aufzeichnungen sind mit dem 19.09.1956 datiert, an dem Manfred Ebert zum neuen Kommandanten ernannt wird. Von nun an ging es stetig bergauf mit der Florengäßner Brunnengarde. Bis in die neunziger Jahre mussten junge Männer sogar warten, bis sie in die Brunnengarde als Gardist aufgenommen werden konnten, da die Mannschaftsgröße bei der Wiedergründung 1953 auf zwanzig Gardisten einschließlich Kommandanten und einer Marketenderin festgelegt wurde.

Im Jahr 1967 übernahm Werner Goldbach das Vereinslokal der Florengäßner Brunnenzeche, die Gaststätte "Zur Eintracht" und wurde gleichzeitig neuer Kommandant der Brunnengarde. Während dieser Zeit ist es ihm gelungen, als erster Gardist aller Fuldaer Garden, den Rang eines vier Sterne Generals zu erreichen. Unter seiner Führung hat sich die Brunnengarde nicht nur in Fulda einen Namen gemacht, sondern auch zum Beispiel in Zürich (Schweiz), Niklasreuth (Bayern) oder in St. Martin  (Oberösterreich), um nur einige Städte zu nennen, die bei den jährlich stattfindenden Gardefahrten besucht wurden.

Nach siebenundzwanzig Jahren als Kommandant übergab er diesen Posten 1994 an Theo Schröter, der ihn ein Jahr später zum Ehrenkommandanten der Florengäßner Brunnengarde ernannte. Zum 50. Jubiläum in 2003 organisierte Kommandant Theo Schröter eine Gardefahrt nach Dinkelsbühl, um mit der dortigen Knabenkappelle erstmals in Kontakt zu treten, nachdem die Garde bei ihrer Wiedergründung die Uniform der Knabenkappelle als Vorbild genommen hat. Leider musste die Garde feststellen, dass der Wunsch nach einem engeren Kontakt zur Kapelle sehr einseitig war und nicht erwidert wurde. Die Garde nutzte den Aufenthalt in Dinkelsbühl und besuchte in drei Tagen verschiedene kulturelle Veranstaltungen, unter anderem die berühmte Kinderzeche. Durch ihr geschlossenes Auftreten in ihren Sommeruniformen hat die Brunnengarde auch in Dinkelsbühl viel Applaus geerntet und einen positiven Eindruck hinterlassen.

Genau am Tag des fünfzigjährigen Jubiläum am 29.August 2003 wurde der neue Kommandant Jochen Weber, sowie die neuen Uniformen der Offiziere (mit Schaftstiefel) der Öffentlichkeit vorgestellt. Der neue Kommandant versprach bei der Übernahme, die Garde im Sinne seiner Vorgänger zu führen und alte Traditionen zu wahren, was ihm bis zum erneuten Wechsel des Kommandos im November 2009 auch trefflich gelungen ist. Seit dieser Zeit führt nun Bernd Giebel, Gardist seit fast vier Jahrzehnten, die Florengäßner Brunnengarde als Kommandant an.

Natürlich ist die Florengäßner Brunnengarde nicht nur in der fünften Jahreszeit in den heimischen Breitengraden aktiv. Freundschaftliche Wettkämpfe mit anderen Garden aus Fulda und Umgebung gehören praktisch über das ganze Jahr hindurch zum festen Programm. Auch werden immer wieder Stammtische abgehalten, Feste anderer Karnevalsvereine besucht sowie Ordensnachmittage und Sommerfeste mit den Ehrenoffizieren des Vereins veranstaltet. Und das hoffentlich noch eine lange Zeit!